Ich

Mein Name ist Sara Militello-Petrucci und ich bin 1986 in Basel geboren. Später zogen wir nach Büren SO, wo ich eine unbeschwerte Kindheit verbringen durfte und mit 17 Jahren meinen jetzigen Mann kennenlernte. Wir heirateten wir im Jahre 2008, zogen nach Laufen BL und in den Jahren … kamen nacheinander unsere gemeinsamen drei Kinder zur Welt.

Wir wohnten in unserer kleinen glücklichen Welt, bis im Jahre 2012 bei mir per Zufall ein Hirntumor entdeckt wurde, der zwar gutartig war, aber dennoch entfernt werden musste, weil er zu wachsen schien. Das war das erste Mal, dass wir mit den Themen Leben, Sterben, Angst und Entscheidungen konfrontiert wurden. Ja, ich hatte Angst um mein Leben, aber ich habe es geschafft, die OP lief gut und nach einer gewissen Genesungszeit war ich wieder mitten im Geschehen und unsere Welt war wieder in Ordnung. Bis ich im August 2020 wieder zur Jahreskontrolle musste. Wie damals bemerkte man einen weissen Fleck an der gleichen Stelle, an der der entfernte Tumor gelegen hatte. Der Arzt konnte mir nicht erklären, was es genau war, aber es musste beobachtet werden. Und wieder kehrte ich mit Angst nach Hause zurück, wie acht Jahre zuvor. Doch wusste ich nicht, dass Schlimmeres noch folgen würde ...

bis zum 27.11.2020.

Ich wache morgens auf und merke, davor ist nichts mehr. Genau so fühlt es sich an, der neue Abschnitt in unserem Leben, wie diese Spalte da oben, wie eine Kluft, das frühere Leben nicht mehr erreichbar. Nichts davor mehr wichtig, nichts davon noch real, ich hocke in einer Blase und hoffe sie platzt, alles ist nicht wahr, alles nur geträumt, alles nur ein Albtraum. Lieber Gott, behüte meine Familie, lass das nicht zu! Laura, meine kleine Laura.

Und unerbittlich läuft die Zeit einfach weiter, als wäre nichts geschehen!

Man brachte mir am Abend des 27.11.2020 die Nachricht, dass Laura tot ist. 

Ich verstand die Welt nicht mehr. Alles in meinem Kopf war wirr, mein Hirn fühlte sich geschrumpft und taub an, mein Körper zitterte und ich war müde vom Denken, aber das konnte nicht ausgeschaltet werden. Warum? Warum Laura? Warum wir als Familie? Wie sollten wir weiterleben ohne Laura, wie sollte das gehen? Wir werden unsere Tochter nie wieder mit nach Hause nehmen und sie auch nie wieder wie gewohnt in unsere Arme schliessen können.

Täglich wuchs die Schuld in mir. Was habe ich übersehen, was hätte ich anders machen können? Ich hatte solche Angst in mir, ich gab mir immer mehr die Schuld an Lauras Tod.

Man geht zwar nach Hause, aber es fühlt sich alles falsch an. In der ersten Nacht danach schliefen wir bei meiner Mutter. Ich lag wach, mit diesem unerträglichen Gefühl und den immer wiederkehrenden bitteren Gedanken; Laura ist schon 6 Stunden nicht mehr bei uns, 7 Stunden, 8 Stunden und immer weiter, stundenlang. Am nächsten Morgen kam der Pfarrer vorbei, doch mehr oder weniger ging alles an uns vorbei. Immer im Kopf, Laura, meine Laura. Ich wollte Antworten, wollte wissen, was genau passiert war.

Am darauffolgenden Abend gingen wir mit den Kindern allein in unser eigenes Zuhause. Zu Hause fühlte sich nicht mehr wie Zuhause an, wir trauen uns nicht mal in unsere eigenen Schlafzimmer. Verloren sassen wir allesamt auf unserer Couch und warteten, bis wir vor Erschöpfung einschliefen. Das ging bestimmt 2 Wochen so.

Eines Morgens, so kann ich mich noch erinnern, rief ein kleiner elektrischer Vogel, der nie funktionierte, plötzlich aus dem Nichts „Guten Morgen.“ Laura hatte ihn an ihrem letzten Tag auf den Tisch gelegt. Wir waren so erschrocken, und gleichzeitig voller Hoffnung, war das ein Zeichen, war Laura hier?

Auch dieser Sonntag klang aus und ich weiss noch wie mich die Angst packte, weil der Montag sich näherte. Am Montag sollte die Obduktion durchgeführt werden. Sie wird einfach aufgeschnitten. An diesem Montagmorgen rief ich die Polizei an, um zu fragen, warum die Rega, die schweizerische Rettungsflugwacht, an diesem Abend nicht geflogen sei. Sie gaben mir zur Antwort, dass es neblig gewesen sei, allerdings frage ich mich bis heute, wo der Nebel war? Aber leider kann ich es nicht beweisen. Am Nachmittag bekam ich den Anruf der Obduktion, Laura wurde freigegeben. Sie würde vom Bestatter abgeholt werden und wir sollten uns dort melden. Sie erklärten mir noch am Telefon, dass Laura eine Fehlbildung im Kleinhirn mit einer Einblutung gehabt hätte und dass sie alles in ein Labor schicken würden, um präzisere Informationen zu bekommen.

Ich war zwar schon in einer Art Schock-Zustand, aber diese kurze Information reichte aus, um alles für mich noch viel schlimmer zu machen. Fragen, wie: „Habe ich was weiter vererbt, obwohl man mir gesagt hatte, man könne es nicht weiter vererben?“ Ich hatte mir ja im Jahr 2012 einen gutartigen Tumor entfernen lassen. Sofort wollte ich mit meinem damaligen Neurochirurgen telefonieren, um zu erfahren, ob ich es wirklich nicht weiter hätte vererben können. Daraufhin bestätigte er mir, dass der Tumor nicht vererblich sei, aber beruhigend fühlte es sich trotzdem nicht an. Ich fragte, wo auch immer ich auf Ärzte traf, wie sie gehandelt hätten, wenn ich mit Laura zur Untersuchung gekommen wäre wegen der Kopfschmerzen, hätten sie ein MRT gemacht? Ihre Antwort war immer nein, das hätten sie nicht angeordnet. Eventuell hätte man sie unter Beobachtung gestellt, aber wegen nur einem Tag Kopfschmerzen würde man keine grossen Untersuchungen starten.

An diesem Montagnachmittag rief meine Mutter das Beerdigungsinstitut an, was ihr mitteilte, dass wir auch Laura zu uns nach Hause nehmen dürften, wo wir sie waschen könnten und sie ein letztes Mal hübsch machen dürften. Mein letzter Wunsch war, sie wie Schneewittchen aufzubahren und sie bei mir haben zu dürfen. Mein Mann und ich entschieden uns, dass so auch die engsten Verwandten ihr Adieu sagen könnten.

Am Dienstagmorgen wollten wir sie nach Hause holen. Wir wollten allein sein mit ihr, am liebsten den ganzen Tag. Zuerst rief ich aber noch das Care-Team, was uns als Familie betreute, an, um zu fragen, was besser wäre für unsere anderen beiden Kinder. Die Antwort des Care-Teams war, dass wir das schon richtig entscheiden würden. Und so einigten wir uns darauf, dass unsere Kinder diese Entscheidung selbst treffen dürften, sie sollten keinen Druck haben, wann und wie sie ihre Schwester sehen wollten und machten uns allein auf den Weg zum Beerdigungsinstitut, es war mittlerweile auch schon 16.00 Uhr.

Und da lag sie. Allein und kalt. Aufgeschnitten und zugenäht mit ein wenig Blut, was vom Brustkorb herunterlief. Ich sah eine Träne, die den Weg aus einem ihrer Augen fand. „Weint sie?“ Fragte ich zaghaft den Bestatter. Leise gab er mir zur Antwort: „Nein, das ist Flüssigkeit, die da rauskommt, das ist normal.“ „Hat, sie schmerzen?“, fragte ich ängstlich weiter, was dann aber sogleich verneint wurde.

Es tat mir unendlich weh, dass man meine Tochter aufgeschnitten hatte. Ihr Körper war ihr immer sehr wichtig. Sie selbst regte sich schon wegen jeder kleinen Narbe auf, obwohl ich ihr immer versucht habe zu erklären, dass jede Narbe eine Geschichte des wahren Lebens erzähle.

Wir entschieden uns, Laura im Institut schön zu machen und nach der ersten Unsicherheit fingen wir an Laura zu waschen und ihr ihre schönen langen Haare zu bürsten, von denen einige heraus fielen. Also bürstete ich sie nur noch ganz sanft weiter. Wir zogen ihr das Kleid an, was sie zuletzt an ihrer Kommunion getragen hatte und dazu das passende weisse dickere Jäckchen, sie sollte nicht frieren müssen! Ich färbte ihr eine Haarsträhne blau und lackierte ihr passend dazu ihre Fingernägel, wie ich es ihr versprochen hatte.

Sie sah aus wie Dornröschen im ewigen Schlaf!

Wir legten ihr noch Schmuck an und betteten ihr zärtlich eine Rose zwischen ihre Hände. Ihr geliebtes zweites Nuschi, aus ihrer Baby-Zeit legten wir wie eine Decke um ihre Beine. Ihr erstes Nuschi haben wir für uns behalten und es begleitet uns immer noch überallhin. Wir hoben sie in den Sarg, sie war so kalt, steif und schwer und dennoch genoss ich sie in meinen Armen zu halten, denn ich wusste, dass ich bald keine Möglichkeit mehr dazu haben würde.

Jetzt lag sie da, wunderschön!

Mittlerweile trafen meine Mutter und meine Brüder ein, denen ich die Türe öffnete, damit sie endlich zu Laura durften. Wir standen einfach eine Weile da, bis wir vollkommen erschöpft wieder heim fuhren, um Lauras Umzug nach Hause am nächsten Tag vorzubereiten.

Nun war es Dienstagmorgen 8.00 Uhr in der Früh, als sie Laura endlich nach Hause brachten. Unsere beiden anderen Kinder gingen in die Schule und so hätten wir ganz viel Zeit mit Laura.

Genau an diesem Morgen fing es an zu schneien, als sie den Wagen mit Lauras Sarg darauf in die Wohnung fuhren. Wir haben ein offenes Wohnkonzept, Wohnzimmer, Esszimmer und Küche offen und so entschieden wir uns sie im Sarg zu belassen, dafür aber den Sarg im Elternzimmer auf unser Bett zu legen. So konnten wir die Türe schliessen und den Kindern die Zeit lassen, die sie benötigten, wann sie Laura sehen möchten.

Nachdem wir im Zimmer alle Fenster öffnen mussten, damit sie genug Kühlung bekam, lag ich mit der dicksten Decke, die ich finden konnte, neben Laura und dem Sarg. Ich hielt ihre Hand bis zum Mittag. Meine Hand war schon ganz blau vor Kälte, aber es war mir in diesen Stunden völlig egal, Hauptsache war, dass ich sie bei mir hatte und ich sie fühlen konnte. Ich küsste sie fortlaufend und streichelte liebevoll ihre Wangen. Ich hoffte, dieser schier unmögliche Albtraum möge ein Ende haben und sie finge wieder an zu atmen. Tat sie aber leider nicht!

Die Kinder kamen nach Hause und sie wollten direkt ins Zimmer zu Laura. Wir öffneten die Schlafzimmertüre gemeinsam und ich erhaschte noch diese entsetzten Blicke, bevor mein Sohn weinend zum Sarg lief und mich fragte, ob er sie berühren dürfe. Die Kleine sass wie erstarrt auf der Bettkante unten am Sarg und sagte für ein paar Minuten nichts, bis sie auf einmal fragte, ob sie Laura kitzeln dürfe. Ich bejahte und als sie Laura kitzelte und diese keine Reaktion zeigte, wollte sie sofort das Zimmer verlassen. Sie lief in ihr Kinderzimmer, das zugleich auch Lauras Zimmer war und weinte da bitterlich. Sie begriff zum ersten Mal, dass ihre Schwester nicht mehr lebte.

An diesem Nachmittag gingen beide Kinder freiwillig wieder in die Schule und mein Mann und ich lagen wieder stundenlang eingepackt in der Kälte neben Laura und dem Sarg in der Mitte auf unserem Ehebett. Ich war eingeschlafen, bis unser Pfarrer kam, um für Laura zu beten.

Um 17.00 Uhr holte das Institut Laura wieder ab und wir fuhren mit den Kindern hinterher, um dort Lauras Sargdeckel mit Fotos und schönen Erinnerungen zu bemalen und zu schmücken. Unsere Eltern und Geschwister gesellten sich dazu und jeder hinterliess seine Spuren und ganz viel Liebe auf Lauras Sarg, was uns alle tief berührte und mir sehr gefiel.

Dann kam der Mittwoch. Am Mittwoch erschien wieder der Pfarrer und wir mussten uns entscheiden, ob wir Laura beerdigen oder kremieren wollten. Ausserdem mussten wir auch noch in das Gemeindehaus, um Laura abzumelden. Im Nachhinein hätten wir dies alles besser auf Donnerstag verschoben, so hätten wir am Mittwoch Laura nochmals zu uns holen können. Und so entschieden wir uns für eine Beerdigung im Sarg. Wir wollten einen Platz, an dem wir alle hindürfen, um bei Laura zu sein. Wir wussten am Anfang überhaupt nicht, was wir wählen sollten, denn eigentlich wollten wir unser Kind ja nicht gehen lassen und doch muss diese Entscheidung gefällt werden. Unsere haben wir bis jetzt nicht bereut, es fühlt sich richtig an!

Wir durften sie am 10. Tag nach ihrem Tod beerdigen. Für uns war die lange Zeit dazwischen gut und wichtig, denn so konnten wir uns die Zeit geben, uns an den Gedanken zu gewöhnen, in Zukunft Laura nie mehr zu sehen.

Vor der Beerdigung trugen mein Mann und ich mit unseren Geschwistern Lauras Sarg in die Kirche. Wir nahmen alles nur hinter einem grauen Schleier wahr. Man entwickelt so etwas wie einen inneren Roboter, der einfach weiss, was er zu tun hat und automatisch funktioniert. Man muss da durch, egal wie. Ich las in der Kirche meinen Brief vor, den ich zuvor für sie geschrieben hatte und es wurde nebst ein paar Kirchenliedern, ein speziell für Laura geschriebenes wunderschönes Lied von einer befreundeten Musikerfamilie vorgetragen.

Im Nachhinein bemerkte ich, dass ich schwarze Kleider angezogen hatte, könnte ich zurück, würde ich in Rosa zu ihrer Beerdigung gehen, passend zu ihrem Kleid und ganz nach ihrem Geschmack.

Zu dieser Zeit herrschte noch Corona und nicht alle, die wollten, durften den Gottesdienst an diesem Tag besuchen und auch nicht am Grab alle miteinander Laura verabschieden.

Als wir aus der Kirche kamen, standen daher dutzende Freunde und Bekannte mit schönen, bemalten T-Shirts da, ich konnte sie mir gar nicht richtig anschauen, so viele waren gekommen, um von ihr Abschied zu nehmen, es war überwältigend.

Wir warteten vor der Kirche bis alle, die nicht mit zum Grab durften, mit einer letzten Berührung auf Lauras Sarg ihr Ciao sagen konnten. Danach stieg ich wie betäubt ins Auto des Bestatters, der mich fragte, ob wir nun fahren könnten. Ich antwortete ihm: „Leider kann man ja nur diesen einen Weg wählen.“ Und so fuhren wir an die Stelle, an der unsere Tochter nach der Beerdigung mit vielen Briefen, Luftballons und wunderschönen Blumen in allen Farben allein zurückbleiben würde.

Am Nachmittag trafen wir uns dann noch mit Lauras Schulklasse am offenen Grab. Das Grab wurde am Morgen nicht zugeschaufelt, damit sich die Kinder mit vielen bunten, fantasievollen und schönen gebastelten Dingen, die sie ihr mit ins Grab geben wollten, auch noch von ihr verabschieden konnten. Wir sprachen mit den Eltern der Kinder, mit der Religionslehrerin und dem Pfarrer, bis wir dann am späten Nachmittag, vollkommen am Ende unserer Kräfte, zu uns nach Hause gingen und der Gemeindearbeiter Lauras Grab schliessen konnte.

Wir kehrten an diesem Abend erneut zu ihrem Grab zurück, um zu sehen, wie es nach der Auffüllung nun aussah.

Es ist ein schöner, ruhiger und warmer Ort, den wir gerne pflegen und mindestens einmal am Tag besuchen. Ein kleines Stückchen Herz von uns allen liegt mit ihr im Grab und es macht uns Freude, die vielen kleinen Geschenke darauf in Ordnung zu halten und den Jahreszeiten entsprechend zu schmücken. Sie wird immer einer der drei Mittelpunkte in unserem Leben und Herzen bleiben. Daher besuchen wir Laura am Jahrestag, an den Geburtstagen und sonstigen Feiertagen und verbringen gerne auch mal mehr Zeit bei ihr. Vereinzelt treffen wir dort auch auf andere Menschen, denen sie bedeutsam war und bleibt.

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