Das Leben bis jetzt

In den ersten Monaten versuchten wir für unsere anderen beiden Kinder stark zu sein. Das Leben lief natürlich knallhart weiter, egal, wie man sich fühlte. Egal, ob man morgens aufstehen mag oder abends nicht ins Bett möchte, weil man ohnehin nicht schlafen kann. Egal, ob man sich kaum aufrecht halten kann, weil kein Bissen Essen heruntergeht. Man ist kaum fähig an etwas anderes zu denken, geschweige denn seinen Kopf auszuschalten oder gar Freude am Leben zu empfinden. Wir tickten eigentlich wie ein Uhr, zu dieser Stunde muss man das tun, zu jener Stunde dieses … Tick Tack Tick Tack..... Man tut, was man tun muss, nichts anderes bringt man noch zustande. 

Es folgten bereits die ersten beiden Geburtstage in unserer grossen Familie und als die Adventszeit vor der Tür stand, fragte mich unser Sohn, ob wir einen Tannenbaum aufstellen könnten, denn er fände es schon schade ohne jegliche Weihnachtsstimmung. Also raffte ich mich auf, holte unseren Baum aus dem Keller, suchte den Baumschmuck zusammen und schmückte ihn gemeinsam mit meiner Familie. 

Daraufhin fand der erste Elternabend statt, an dem wir teilnahmen. Dieser fand ausgerechnet in der Schule statt, in der ich Laura damals abholte.

An Weihnachten sassen wir mit unseren Familien zusammen und bemühten uns, trotz unserer tiefen Trauer ein Lächeln auf die Lippen zu zaubern, aber innerlich zerfrass es uns fast. 

Ich erinnere mich noch, als man anfangs bestrebt war alles festzuhalten, was von Laura herumschwirrte, fast so, als könnte man das Ende hinauszögern. Doch irgendwann war der Zeitpunkt gekommen. Ihre letzte gebrauchte Tasse wurde gewaschen, ihre Bibliotheksbücher musste man abgeben, ihre Schulsachen konnten wir abholen und es kamen keine Kleider mehr von ihr in die Wäsche. So wurde es weniger und immer weniger, was man fast krampfhaft versucht hatte von ihr zu bewahren. Bis jetzt aber hängt ihre Jacke unberührt in der Garderobe, ihre Schuhe stehen nach wie vor auf dem Schuhregal und ihr Bett sieht noch so aus, wie sie es hinterlassen hatte. Und das bleibt auch so bis der Tag kommt, an dem ich fühle, dass es sich verändern darf.

Unser Esstisch wird weiterhin täglich von ihren Geschwistern fürs Essen gedeckt und mit einer brennenden Kerze für Laura geschmückt. Ich werde ihnen das nicht verbieten, sie dürfen selbst bestimmen, wann für sie der Zeitpunkt gekommen ist, damit aufzuhören. 

Im Januar wollte ich mich nach einem Psychiater erkundigen. Nach drei Telefonaten gab ich auf. Jedes Mal musste ich mir anhören, dass sie ausgebucht seien wegen Corona und es gäbe dadurch lange Wartezeiten. Ich glaube bei zwei Praxen in Basel, bin ich bis jetzt noch auf der Warteliste. 

Das Care-Team interessierte sich auch nicht wirklich für uns und so fing ich an, selbst zu suchen, was mir helfen könnte. Schon seit meiner Kindheit hatte ich eine grosse Angst zu bekämpfen. Ich fürchtete mich vor dem Tod und man konnte mit mir nicht darüber sprechen. Ich war mir immer sicher, dass danach nichts mehr kommt, ausser endlose Dunkelheit.

Diese Situation machte alles für mich noch verstörender, denn Laura war jetzt genau dort. Sie, die ihr Leben so liebte.Ausserdem kam sie nur ein paar Monate vor ihrem Tod zu mir, da sie grosse Angst vor dem Tod und auch vor der Dunkelheit hatte. Das Thema beschäftigte uns beide … Zufall? 

Also entschloss ich mich, das Gegenteil zu suchen. Ich wollte glauben, dass es für Laura nicht das Ende war. Ich hoffte, sie sei im Licht, nicht im Dunkeln. Ich befand mich auf neuem Terrain. Glaubte zuvor weder an ein Leben danach noch an Wiedergeburt. Demzufolge fing ich an, Bücher von verschiedenen Medien zu bestellen, die Erfahrungen mit Verstorbenen hatten. Und je mehr ich darüber las, umso beeindruckender fand ich dieses Thema. Es hörte sich mit der Zeit auch sehr logisch an. Um auch auf wissenschaftlicher Ebene etwas zu erreichen, las ich sogar ein Buch über Quantenphysik. Wow, das war so kompliziert und doch so spannend und faszinierend zugleich! Nachdem ich mich immer mehr davon überzeugt hatte, begann ich schrittweise meine Denkweise zu ändern.

Ausserdem durchforstete ich parallel das Internet nach Antworten auf meine immer noch vielen offenen Fragen. Hatte Laura ein Aneurysma oder doch was anderes? Ich war frustriert, keine Erklärungen zu bekommen. Es würde dauern, bis wir das Endergebnis des Labors mit dem Bericht des Gerichtsmediziners erhalten würden. Und doch lässt es einen nicht zur Ruhe kommen. Man möchte doch unverzüglich wissen, woran das eigene Kind gestorben ist.

Ca. drei Monate danach brachte die Post den lang ersehnten Brief des Labors mit all den Details. Leider bestand dieser Bericht aus viel "Fachchinesisch" und wir verstanden eigentlich immer noch nichts! Unser Arzt half uns später dabei, den Bericht zu entziffern und zu verstehen.

Laura hatte eine AVM. Es gab endlich ein Wort dafür. Wer jedoch nur dieses eine Wort bei Google eingibt, erhält Informationen über das Heimnetzwerk. Man muss schon spezifisch „AVM-Kopf“ eingeben, um etwas Brauchbares zu finden. Und da fand ich endlich die Symptome, die zu Lauras Krankenbild passten. 

Meine Neugier war geweckt, aber nicht befriedigt und so habe ich auf Facebook nach Gruppen mit Gleichgesinnten gesucht und zwei sehr interessante gefunden. Ich wurde sofort aufgenommen und durfte da meine Geschichte erzählen. Innerhalb von wenigen Stunden erhielt ich mehr als 150 Nachrichten und fühlte mich zum ersten Mal verstanden. So viele Eltern, die sich in derselben Situation befanden. Ich bin immer noch in Kontakt mit diesen Gruppen und so dankbar, dass es sie gibt. 

Durch meine Gespräche in diesen Gruppen entwickelte ich eine Idee. Nun wusste ich, was ich machen wollte. Mein Ziel war es, etwas für die AVM-Betroffenen zu tun und gleichzeitig Geld für Forschungen zu sammeln. Ich bin überzeugt, dass es doch nicht so selten ist, wie die Ärzte behaupten, wenn ich mir die vielen Geschichten betrachte.

Lauras 1. Himmelsgeburtstag

Lauras 1. Himmelsgeburtstag wollten wir so feiern, wie Laura ihn gerne erlebt hätte. Mit ganz viel Süssigkeiten und mit ihr als Mittelpunkt! Ich muss zugeben, dass der Tag für mich nicht besonders schlimm war, da sich alles um Laura drehte. 

Am Morgen traf ich Lauras Klasse an ihrem Grab. Ich verteilte allen ein „Znüni“ und sie verzierten allerliebst ihr Grab mit ihren persönlichen Botschaften. Nachmittags überraschte uns die *Missione Cattolica, mit ganz vielen Luftballons, die so schön in den Himmel flogen und am Abend überraschte ich unsere Familien mit weissen Tauben, die wir über ihr Grab fliegen liessen. Jeder bekam eine Taube in die Hand und so liessen wir sie gemeinsam, mit einer persönlichen Botschaft für Laura, in den Himmel steigen. Und obwohl es regnete, gab es zum Abschluss noch Kaffee und Kuchen an ihrem Grab. 

Ich fand, dass es ein schöner Tag für Laura war.

*Die Missione Cattolica Italiana (MCI) ist für die italienischsprachige Seelsorge im Kanton Basel-Landschaft zuständig.

Lauras 1. Todestag

Dieser Tag war schrecklich. Wir standen bereits weinend auf und obwohl ich einige Vorbereitungen getroffen hatte für diesen Tag, verspürte ich keine Lust mehr daran teilzunehmen. Aufgrund der winterlichen Temperaturen zu dieser Jahreszeit mietete ich einen Raum, damit wir mit unseren Eltern und Geschwistern zusammen, darin Platz fanden. 

Natürlich gab es für alle Lauras Lieblingsessen, "Härdöpfelstock" mit Hackbällchen und brauner Sosse. Im Anschluss bastelten wir Baumschmuck für Laura, denn wir hatten bei uns zu Hause im Garten einen Weihnachtsbaum für sie aufgestellt, den wir beleuchten und schmücken wollten. 

Weihnachten war für sie immer eine Zeit der Freude und des Genusses. Sie liebte einfach diese besonderen Tage. Auch wenn ich selbst Weihnachten nicht mehr als wertvolles Fest empfinde, nehme ich an den Vorbereitungen und der Feier teil, da für unsere anderen beiden Kinder ja trotzdem noch Weihnachten ist und sie das Recht darauf haben, diese Tage noch immer so unbeschwert wie möglich zu geniessen. Ausserdem werde ich jedes Jahr zu Weihnachten das Rentier im Garten aufstellen und für sie leuchten lassen, was ich am Tag, an dem sie starb, für sie gekauft hatte. 

An diesem Abend gingen wir zu Lauras Grab, wohin auch Verwandte, Freunde und alle, die Lust hatten, gekommen waren. Sie durften mir auch etwas Gebasteltes mitgeben für ihren Weihnachtsbaum. Wir schmückten ihr Grab, machten ein Feuer, und verbrannten unsere Briefe. Nachdem wir Lauras Lieblingspunsch zum Abschluss getrunken hatten, endete der Tag. Wir waren komplett erschöpft.

Im August 2021 fing ich einen Meditationskurs an, den ich bis heute wöchentlich besuche. Das gibt mir Ruhe und tut mir gut. 

Im Januar 2022 erkrankten wir alle an Corona und keine zwei Wochen später hatte ich den kompletten körperlichen Zusammenbruch. Ich hatte Symptome, die von Panikattacken, Atemnot, starkem Zittern, Herzstolpern, bis hin zu Magenproblemen reichten. Ich glaube, ich habe alles, was man haben kann, durchgemacht. Deswegen suchte ich mir einen Psychiater, ohne den kam ich bei den Ärzten nicht mehr weiter. Täglich kämpfte ich mit starker Unruhe und heftigem Zittern und jede Nacht plagten mich Albträume, von denen ich schweissgebadet am Morgen aufwachte. Es gab Tage, an denen ich dachte, ich würde durchdrehen und mein Körper würde mich vernichten. Der Psychiater half mir sehr und er erkannte schnell, dass es nicht nur an meiner Trauer, sondern auch an meinem Verhalten lag. Ich musste lernen, mich zu schonen, mich zu entspannen und mir Ruhe zu gönnen. Hört sich vielleicht leicht an, für mich jedoch war das eine Herausforderung und brauchte Zeit. 

Es dauerte fast ein Jahr, bis ich mich vollständig erholen konnte, und ich sollte in Zukunft vorsichtig sein, um nicht in alte Verhaltensmuster zurückzufallen. 

Wie an Lauras 2. Todestag. Ich musste mich selbst entlasten und nicht mehr so Aufwändiges planen. Solche Tage entziehen einem viel Kraft, was man erst später bemerkt. Deshalb habe ich im zweiten Jahr nichts gekocht und nichts gebacken und hatte genügend Kraft, um den Tag und den Abend zu überstehen. Also besuchten wir an diesem Tag Lauras Grab. Tranken dort ihren Lieblings Punsch, assen gekaufte "Wiehnachtsgutzi" und gingen am Abend mit allen gemeinsam in einem Restaurant abends essen.

Und das war auch gut so!

Rituale

Für die Familie ist es wichtig, Rituale zu finden!

Wir haben eine selbst gebastelte Kerze von unseren Kindern in unserer Kirche, die wir anzünden, wenn es uns danach ist. 

Am 1. November dekorieren wir ihr Grab in der Farbe Orange. Wir essen an diesem Tag Lauras Lieblingsessen, tischen einen gefüllten Teller an ihrem Platz auf und stellen zusätzlich Fotos von ihr auf den Tisch. Gemeinsam sehen wir uns am Abend Disneys Film "Coco" an, den wir alle mögen.

Wen wir im Urlaub sind, füllen wir ein Glas mit Sand und stellen eine Kerze rein, die wir dann anzünden. 

Bei Städtereisen wird an beliebiger Stelle eine rote Rose hinterlegt, weil Laura den Film "Die Schöne und das Biest" von Walt Disney so liebte. Daher die Rose. Und wir zünden in jeder Stadt in einer Kirche eine Kerze an.

Wir ziehen immer etwas von Laura an, wenn wir Familienfotos machen. Ich habe T-Shirts und Kissen mit lustigen "Laura Motiven" drucken lassen sowie auch coole Buttons.

Unser traditionelles Familienfoto von Silvester knipsen wir nun NEU an Weihnachten. Es wird weiterhin durchgeführt.

Wir sammeln viele Botschaften und Zeichen, die eindeutig von Laura kommen. 

Ausserdem basteln wir viel, ich finde, dass Basteln sehr beruhigend und hilfreich ist.

Hier sind einige Fotos von Botschaften, die ihr vielleicht nicht versteht, aber für uns eindeutig sind. :)

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